Hier dokumentieren wir Presse-Berichte über HeJ und Interviews mit dem Projekt-Team. Zum Öffnen und Schließen des Artikels klicken Sie bitte auf die Überschrift.
Antisexistisches Männertraining. - jW Feminismus, junge Welt (18. Dezember 2009)
Berlin. Neue Methoden und Materialien für die pädagogische Arbeit mit männlichen Jugendlichen hat am Dienstag der Verein GLADT (Gays & Lesbians aus der Türkei) in Berlin vorgestellt. Sie sollen es Pädagoginnen und Pädagogen erleichtern, sich im Arbeitsalltag «gezielt mit den Themen Sexismus und Homophobie im Kontext von Migration und Rassismus auseinanderzusetzen.»
Als Organisation von vor allem lesbischen Migrantinnen und schwulen Migranten hat GLADT bei der Entwicklung der «Handreichungen für emanzipatorische Jungenarbeit» Wert auf eine Sachlichkeit gelegt. GLADT-Geschäftsführerin Tülin Duman betonte: «Wir setzen an den eigenen Diskriminierungserfahrungen der Jugendlichen an.» Es gelte, «viel früher anzusetzen, bevor körperliche Gewalt entsteht.»
Die Methoden und weiteres Material können von www.HeJ-Berlin.de heruntergeladen werden.
Tandem sorgt für Integration. Nach zwei Jahren Förderung zog der rot-rote Senat gestern Bilanz seines Aktionsprogrammes - Martin Kröger, Neues Deutschland (9. Dezember 2009)
Integration ist ein Dauerbrenner in einer Einwanderungsstadt wie Berlin. Doch abseits der großen Debatten wie jüngst zur Schweizer Minarett-Entscheidung bedeutet Integrationspolitik vor allem Basisarbeit in den Kiezen. Die Förderung so genannter Tandemprojekte, in denen deutsche und migrantische Organisationen zusammenarbeiten, ließ sich der rot-rote Senat 2008/2009 eine Million Euro kosten. «Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken» war das Motto dieses Aktionsprogramms. Die anvisierte Zielgruppe waren «junge, männliche Migranten». Gestern zogen alle Beteiligten Bilanz.
«Es ging darum, strukturelle Defizite aufzuzeigen und gute Beispiele zu fördern», sagte Berlins Staatssekretärin für Integration, Kerstin Liebich. Dies sei gelungen. Wenn am Donnerstag der Haushalt das Abgeordnetenhaus passiert, sei auch sicher gestellt, dass die Stadt auch künftig mit neuen Projekten vor Ort aktiv sein werde. Bei der Neuauflage solle jedoch stärker das Ziel, der Job- und Ausbildungsplatzvermittlung für junge Migranten angepackt werden.
In diesem Bereich liegen nach Ansicht des Integrationsbeauftragten die größten Defizite: «Die Jugendlichen von heute sind die Verlierer der Integrationspolitik der 90er Jahre», sagt Günter Piening. Viele seien dauerhaft vom Arbeitsmarkt und einer Einkommensperspektive ausgeschlossen. Zudem sei der Begriff «Migrationshintergrund» immer noch negativ besetzt, obwohl er doch beinhalte, dass bei diesen Jugendlichen viele Kompetenzen und Erfahrungen vorhanden sind.
Wie man diese Potenziale ansprechen kann, erläuterten gestern eindrucksvoll mehrere der geförderten Unterfangen. Ganz auf der individuellen Ebene arbeitete etwa das Projekt «Legal leben», das vom Verein Gangway und dem Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB) getragen wurde und sich an straffällige oder von Haft bedrohte Jugendliche wandte. «Wir wollten diesen jungen Menschen einen Ort zum Luftholen geben», sagt Semih Kneip von Gangway. Doch dabei blieb es nicht. Das Vorhaben entwickelte ein Eigenleben, ein Kern von einem Dutzend Kids warb schließlich selbst im Knast für «Legal leben», organisierte Workshops zu Hip-Hop und Breakdance. Flankiert von Schulden- und Rechtsberatungen sowie der Unterstützung bei der Suche nach Wohnungen und Jobs gelang es einigen Jugendlichen Fuß zu fassen.
Einen anderen Ansatz verfolgte dagegen das Vorhaben «Homosexualität in der Einwanderungsgesellschaft» des Vereins Gays & Lesbians aus der Türkei (GLADT): «Uns ging es mehr um die strukturelle Ebene», erklärt Koray Yýlmaz-Günay. Um etwa Pädagogen besser gegen Homophobie zu wappnen, hat die Initiative Handreichungen erarbeitet. Da dies für sich genommen langweilig wäre, geht es GLADT auch um eine Debatte, die die gängigen Reglementierungen sprengt. Wie beispielsweise ist damit umzugehen, dass in Berlin fast 90 Prozent der Lehrer «weiß, deutsch, heterosexuell» sind, während ein Großteil der Schüler Migrationserfahrungen hat? Die Schlussfolgerungen aus solchen Diskussionen wurden von den Jugendlichen selbst getestet.
Neben diesen «guten Beispielen» von GLADT und Gangway gab es aber auch Projekte, die scheiterten, sagt Ingeborg Beer, die für den Senat das gesamte Aktionsprogramm «Vielfalt fördern – Zusammenhalt fördern» wissenschaftlich untersuchte. Doch immerhin 13 von 17 Projekten hätten als Tandemprojekt ihre Vorhaben beendet und dabei insgesamt 7000 Jugendliche erreicht. Damit seien Brücken in die Stadtgesellschaft geschlagen worden, so Beer.
Dass die Berliner Tandemidee, migrantische mit etablierten Trägern zu verknüpfen, ein Exportschlager ist, beweist unterdessen das Interesse des Bundesfamilienministeriums: Das plant nämlich, das Freiwillige Soziale Jahr auch für diese Vereine zu öffnen.
Das ND berichtete in einer Integrationsserie über Tandemprojekte.
«In Neukölln, SO36 oder dem Norden von Schöneberg müsste es jeden Tag knallen. Tut es aber nicht.» - Interview mit Koray Yýlmaz-Günay, Projektleiter «Handreichungen für emanzipatorische Jungenarbeit» Siegessäule (November 2009)
SIS: An wen richtet sich euer Projekt?
Koray Yýlmaz Günay: An Pädagogen und Pädagoginnen. Das ist aus unserer Sicht besser, als kurzfristige Interventionen in Schulklassen oder Jugendeinrichtungen. Lehrer und Lehrerinnen kennen die Schüler und Schülerinnen besser, haben eine Beziehungsebene, können einschätzen, ob Schimpfwörter schon ein Problem sind und nicht nur eine Provokation.
Wie unterscheidet sich eure Perspektive von derjenigen der Pädagogen?
Vor allem in der Wahrnehmung. Als Lesben und Schwule finden wir seltener, dass «Schwuchtel» ein normales Schimpfwort ist. Oder dass bestimmte frauen- oder lesbenfeindliche Äußerungen «normal» männlich sind. Wir wissen zudem, wohin sich ein junger Schwuler oder eine junge Lesbe wenden könnte.
Wenn du Lehrerin bist, und die Jugendlichen erzählen dir, in meiner Kultur gibt es Homosexualität nicht und du weißt es nicht besser, dann gib es ein argumentatives Problem. Die meisten Lehrer sind weiße, christlich sozialisierte Männer und Frauen und haben keine Ahnung von den Hintergründen der Kinder, die in ihrer Klasse sitzen. Hier kann man Lehrern und Lehrerinnen die Angst nehmen und die Haltung, dass sie sofort was machen müssen. Gerade die Schule bietet die Möglichkeit, kontinuierlich was zu machen, ohne den Aktionismus zu bedienen, der gerade von Schwulen-Funktionären immer wieder gefordert wird.
Auch einige Betreiber von Läden zum Beispiel in Schöneberg fühlen sich von Jugendlichen provoziert. Entweder weil die Scheiben angespuckt werden, oder weil sie dumme Sprüche hören. Plädierst du auch hier für Enthysterisierung?
Eine Situation auf der Straße oder in einem Jugendclub ist etwas ganz Anderes. Wenn jemand an meinem Laden vorbeiläuft, habe ich nicht so viele Möglichkeiten, wie in der Schule. Wenn du sagst, Enthysterisierung, würde ich sagen, ja. Wenn du sagst, Grenzen ziehen, würde ich auch sagen, ja. Aber ich glaube, das funktioniert nicht. Du kannst nicht Leuten verbieten, an deinem Laden vorbeizulaufen und du bist gleichzeitig auf Kundschaft angewiesen. Im öffentlichen Raum muss man die Atmosphäre im ganzen Viertel ansehen. Es ist wichtig, ein positives Leitbild für den Kiez zu entwickeln, dass von zentralen Akteuren getragen wird. Nur so lässt sich langfristig ein Zusammenleben ohne rassistische, frauenfeindliche oder homophobe Gewalt erreichen.
Euer Projekt macht emanzipatorische Jungenarbeit. Was ist das konkret?
Es gibt schon seit über 30 Jahren Mädchenarbeit, in der Mädchen befähigt werden, die für sie vorgesehenen Rollen leichter zu durchbrechen. Auf der anderer Seite gibt es in Berlin sehr wenige Ansätze, sich anzuschauen, wie die Maskulinität von Jungen entsteht und wie man hier einen Wandel hinbekommt. Nur die Mädchen zu bestärken hilft nicht, die patriarchalen Strukturen in unserer Gesellschaft zu verändern.
Warum sind an homophoben Gewalttaten überwiegend junge Männer beteiligt?
Jungen lernen, viel riskantere Sachen zu machen als Mädchen. Sachen, die sie selbst oder andere gefährden. Außerdem glauben sie, Verhaltensweisen von anderen, die nicht in Ordnung sind, bestrafen zu können. Schwule oder Menschen, die für schwul gehalten werden, sind eine Provokation für Jugendliche, die eine bestimmte Art von Männlichkeit entwickelt haben. Ich sehe hier erstmal nichts spezifisch Homophobes. Wenn es sich um Migranten-Jugendliche handelt ist die Entwicklung von Männlichkeit mit der Bekämpfung von anderen Männlichkeiten verbunden. Gerade dann, wenn eine – vermeintlich minderwertige – migrantische Männlichkeit mit einer – aus anderen Gründen vermeintlich minderwertigen weißen homosexuellen Männlichkeit konkurrieren soll. Es hilft in solchen Situationen, aus der Perspektive von jemandem zu gucken, der sowohl Migrant als auch schwul ist!
Sind Jugendliche mit Migrationshintergrund aus der Türkei, Russland oder dem arabischsprachigen Raum im Durchschnitt homophober als Jugendliche mit deutschen Eltern?
Es gibt darüber keine belastbaren Statistiken. Mein Alltagsverstand und meine Erfahrung sagen, dass diese Homophobie häufiger wahrgenommen wird, weil sie sich äußert. Wenn Menschen als ethnisch oder religiös anders wahrgenommen werden, fallen ihre Verhaltensweisen mehr auf. Wenn ich mir Neukölln, SO36 oder den Norden von Schöneberg ansehe, wo diese in Frage kommende Altersgruppe überdurchschnittlich häufig Migranten-Jugendliche sind, dann müsste es dort jeden Tag knallen. Tut es aber nicht.
Verstehst du die Angst vieler Lesben und Schwuler vor Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die zum Beispiel in Nordschöneberg zusammen an einer Ecke stehen?
Ich verstehe, dass Menschen in vielen Teilen Berlins Angst haben, weil es ja tatsächlich Homophobie gibt. Ich verstehe aber nicht, warum Migranten-Jugendliche als solche als Angstfaktor wahrgenommen werden. Weil man diese Gruppe auch als Gruppe von männlichen Jugendlichen wahrnehmen könnte, unabhängig von ihrer ethnischen Zusammensetzung. Weil diese Altersgruppe, gepaart mit einer Schichtzugehörigkeit in jedem Teil von Berlin immer ein Gefahrenpotential für Lesben und Schwule birgt, egal wo die Eltern oder Großeltern geboren sind. Ich verstehe aber auch, dass die gewachsene Präsenz von homophober Gewalt in den Medien, den Menschen Angst macht. Dass es ein gefühltes Klima gibt, was das eigene Verhalten mit beeinflusst. Aber warum wird der Norden von Schöneberg, der insgesamt ein relativ friedlicher Kiez ist, als Angstraum verstanden? Zumindest die körperlichen Übergriffe passieren eher in Friedrichshain oder in Prenzlauer Berg, wo der öffentliche Raum nicht von Migranten-Jugendlichen dominiert wird.
Muss man Jugendliche mit Migrationshintergrund, zum Beispiel aus der Türkei, in der Jungenarbeit anders ansprechen?
Auch Profis, die schon lange Schulaufklärung machen, suchen oft bei uns Unterstützung. Weil sie annehmen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund sich nicht angesprochen fühlen von jungen Menschen, die keine Migrantenkinder sind. Uns ist es auf Anhieb leichter gefallen mit diesen Jugendlichen über Schwul-Sein, Sexualität, eigene Wünsche oder Gewalterfahrungen zu sprechen. Es ist kein Geheimnis, dass Männer eher gewalttätig werden, wenn sie selbst Gewalt erfahren haben. Uns gegenüber können sie auch nicht behaupten, Homosexualität sei ein «deutsches» Problem. Sie sagen allerdings oft: «Du weißt ja, wie das ist bei uns.» Dann sage ich: «Nein, weiß ich nicht. Ich bin in Deutschland geboren, mein Vater kommt woanders her als deiner. Erzähl mal, wie das bei euch ist.» Auf einmal hast du dann in einer Gruppe, die sich als einheitlich sieht, eine große Heterogenität.
Kontakt: GLADTe.V., Kluckstraße 11, 10785 Berlin, www.HeJ-Berlin.de, info@GLADT.de
Memory macht Homophobie den Garaus - Katharina Zeiher, Neues Deutschland (31. Juli 2009)
Sind Migranten homophober als der Rest der Gesellschaft?
«Nur noch Araber schaffen es in die Medien» - Interview: Frederik Bombosch, zitty (5/2009, 26. Februar–11. März 2009)
Immer mehr Schwule und Lesben in Berlin sind Opfer von Gewalttaten, das war Titelthema von zitty 4/09. Immer wieder taucht die Behauptung auf, besonders viele junge Türken und Araber seien Täter. Stimmt das? Über Homophobie unter Migranten, in den Kirchen und in Süddeutschland sprach zitty mit Koray Yýlmaz-Günay, der beim Verein Gays und Lesbians aus der Türkei, kurz GLADT, das Projekt «Homophobie in der Einwanderungsgesellschaft» leitet.
Ist homophobe Gewalt ein Problem junger Migranten?
Es gibt kein Bewusstsein dafür, dass diese jungen Männer vor allem Männer sind. In den Medien, in der Politik und leider auch bei der Schwulenbewegung ist die Wahrnehmung entweder, dass es sich um ein ideologisches Problem handelt, dann sind die Täter Nazis, oder dass es um ein Herkunfts- oder Religionsproblem handelt – dann sind die Täter arabisch- oder türkischsprachige Jugendliche. Und das ist zu kurz gegriffen, denn es erklärt nicht, warum so viele andere Türken und Araber nichts gegen Schwule und Lesben haben.
Sie relativieren.
Wir relativieren nicht – aber wir rufen zur Vorsicht mit ethnischen Zuschreibungen auf. Es ist das Gleiche bei Gewalt gegen Frauen oder bei Antisemitismus, wo es fast nur noch Araber in die Medien schaffen. Homophobie betrifft die gesamte Gesellschaft. Warum redet niemand darüber, dass die Kirchen als so genannte «Tendenzbetriebe» Homosexuelle nicht einstellen müssen oder kündigen können, weil für sie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gar nicht gilt? Es ist auch nicht schön, wie Homosexuelle in der süddeutschen Provinz leben – dass sie etwa keine Wohnung kriegen. Aber das sieht niemand als Problem. Das Problem sind muslimische Jugendliche, wenn man der öffentlichen Debatte folgt.
Ein zentrales Thema Ihrer Arbeit ist die so genannte «Mehrfachdiskriminierung». Was meinen Sie damit?
Ein Beispiel: Was ist es denn, wenn mich jemand «Türkenschwuchtel» nennt – eine rassistische oder eine homophobe Beschimpfung? Gerade bei Leuten, die wegen körperlicher oder sprachlicher Merkmale oder wegen ihres Namens häufiger angemacht werden, gibt die Komponente «Rasse» meist den Ausschlag. Auch mir fällt es schwer, einen Vorfall allein als homophobe Gewalt zu klassifizieren, obwohl ich hier geboren und aufgewachsen bin.
Sehen Sie ein Risiko, dass ähnlich wie in Holland rechte Populisten homophobe Gewalt zum Thema machen?
Es gibt Leute, die es auf der Fortuyn-Schiene probieren. Aber Homophobie mobilisiert in Deutschland keine größeren Menschenmengen. Moscheebau ja, Homophobie nicht. Der Ex-Freund von Ole von Beust hat das in Hamburg versucht, aber in den Wahlen weniger als einen Prozent bekommen.
«‹Schwuchtel› ist das meistgebrauchte Schimpfwort» - Text und Interview: Meredith Haaf, Süddeutsche Zeitung, jetzt.de (23. November 2008)
Koray ist Jugendarbeiter in Berlin und hat eine Tagung mit vorbereitet, die am Dienstag stattfindet – es geht um «Homophobie unter Einwanderern». Das Thema klingt ziemlich speziell, muss aber endlich besprochen werden, sagt er im Interview.
Am Dienstag findet in Berlin eine Fachtagung zu Homophobie in der Einwanderungsgesellschaft statt, die der Jugendarbeiter Koray Yýlmaz-Günay, 34, mit organisiert. Koray arbeitet derzeit am Projekt Handreichungen für emanzipatorische Jungenarbeit (HeJ), das der Verein Gays and Lesbians aus der Türkei (GLADT e.V.) erarbeitet und vom Berliner Senat gefördert wird.
jetzt.de: «Homophobie in der Einwanderungsgesellschaft» – der Begriff ruft erstmal das Klischee der knallharten türkischen Jungengangs hervor, die nicht besonders zugänglich sind. Wie schnell kommst du denn mit den Leuten ins Gespräch, wenn du deine Arbeit machst?jetzt.de: «Homophobie in der Einwanderungsgesellschaft» – der Begriff ruft erstmal das Klischee der knallharten türkischen Jungengangs hervor, die nicht besonders zugänglich sind. Wie schnell kommst du denn mit den Leuten ins Gespräch, wenn du deine Arbeit machst?
Yýlmaz-Günay: Sehr schnell. Ich weiß auch nicht genau, warum das für uns einfacher ist, aber ein Grund könnte sein, dass Jugendarbeit in der Regel von weißen, christlich sozialisierten Deutschen gemacht wird, die mit ihrer Zielgruppe nicht viel gemeinsam haben. Bei uns gibt es diese Polarität nicht. Die Jugendlichen bekommen ja mit, dass es große gesellschaftliche Debatten gibt, in denen sie zum Problem erklärt werden. Wenn sich dann eine Lehrerin vor sie stellt und sagt, lasst uns mal über Antisemitismus reden, dann fühlen die sich sofort angegriffen und sagen: «Ja klar, fuck you!» Ich halte das für relativ nachvollziehbar.
Aber die Probleme gibt es ja. Wo siehst du die Wurzeln?
Ich denke, man darf das Elternhaus als ersten Sozialisierungsort nicht unterschätzen. Viele bekommen da schon ihre Vorurteile mit. Aber auch die Kindergärten und Schulen sind wichtig. Leider machen Lehrkräfte in dieser Hinsicht viel zu wenig. Die einen fühlen sich nur für den Fachunterricht zuständig – dabei kennen sie die Schüler besser als sie manchmal gerne möchten. Dementsprechend könnten sie auch eingreifen und Einfluss nehmen. Aber selbst wenn sie wollen, fehlen oft das inhaltliche und das methodische Wissen. Wir stehen da in Berlin sogar noch weit besser da als in anderen Bundesländern oder auf dem flachen Land.
Was sind denn konkrete Konflikte?
Laut unseren Befragungen kommt es an Schulen vor allem zu Mobbing. Da müssen Leute die Schule wechseln, weil sie fertig gemacht werden und in Einzelfällen auch verprügelt werden. Offensichtlich gibt es ein Klima, das Übergriffe gegen homosexuelle Jugendliche gestattet. «Schwuchtel» ist eines der meistgebrauchten Schimpfwörter auf Berliner Schulhöfen. Das Hauptproblem fängt allerdings damit an, wie reduziert Weiblichkeit und Männlichkeit dargestellt wird. Homophobie entsteht dann, wenn nur ein bestimmter Teil möglicher Weiblichkeiten und Männlichkeiten als akzeptabel gilt.
Woher kam der Anstoß, die Tagung zu veranstalten?
Aus mehreren Richtungen. Wir bei GLADT wollten schon länger die Arbeitsbereiche Homophobie und Rassismus zusammenbringen, denn das sind Themen, die in einer modernen Einwanderungsgesellschaft zusammen gedacht werden müssen. Die Europäische Union hat 2008 zum Jahr des interkulturellen Dialogs ausgerufen und das Land Berlin hatte dabei einen Schwerpunkt auf das Thema Homophobie gelegt. Vor allem der Aspekt der Mehrfachdiskriminierung ist uns wichtig.
Also wie verschiedene Diskriminierungsebenen ineinander greifen?
Ja. Man kann zum Beispiel fragen: Wirkt sich die Diskriminierung einer schwarzen Frau anders aus als die gegen Schwarze oder Frauen zusammengerechnet? Wenn sich das denn überhaupt zusammenrechnen lässt.
Bei der Tagung geht es aber auch darum, diese Dinge in die Praxis umzusetzen. Wie geht ihr denn bei eurer Arbeit vor?
Im Moment sind wir dabei, pädagogisches Material zu Sexismus und Homophobie gemeinsam mit Jugendlichen zu entwickeln. Das heißt, die setzen die Themen selbst und sagen uns, welche Aspekte sie für wichtig halten. Sie erzählen uns aber auch, welche Ausschlussmechanismen in ihren Gruppen noch wahrgenommen werden. Zum Beispiel kommen junge Türken oft nicht in die Diskos. Also kann man diese Erfahrung nutzen, um Empathie zu vermitteln gegenüber anderen, die ausgeschlossen werden.
Worum geht es euch denn vor allem – eher um Homosexuelle mit Migrationshintergrund oder um homophobe Jugendliche?
Eigentlich richten wir uns mit unserer Arbeit vor allem an die Heterosexuellen. Wir wollen, dass die sich mehr mit diesen Themen beschäftigen. Außerdem muss erstmal überhaupt sichtbar werden, dass es Homosexualität unter Migranten gibt, aber auch Homophobie. Das Aufklärungsmaterial ist bisher so gestaltet, dass man glauben muss, Schwule sind immer weiß, deutschstämmig und christlich sozialisiert. Wir zeigen Nicht-Weiße, Weiße, Deutsche und Nicht-Deutsche in diesem Kontext und machen damit etwa Türken klar, dass das ein Thema ist, das sie genauso angeht.
Auf der Fachtagung soll ja auch über Rassismus und Islamophobie in der schwullesbischen Szene gesprochen werden. Gibt es denn da auch eine Zusammenarbeit mit anderen Gruppen?
Wie andere Minderheiten auch, sondern sich Schwule und Lesben gerne in ihre Problembereiche ab. Sie meinen, sie hätten es selbst schon schwer und wollen nichts mit unseren Spezialproblemen zu tun haben. Wir können das natürlich nicht akzeptieren, weil man als Lesbe oder als Schwuler mit einem türkischen Namen eben vor allem mit Rassismus und dann mit Homophobie zu tun hat. Du kannst deine sexuelle Orientierung zur Not verstecken, aber deine Hautfarbe eben nicht. Araber oder Türken kommen in manche Bars nicht rein, weil sie als Stricher oder Taschendiebe gelten! Mit einzelnen Organisationen, die zu Rassismus oder Homophobie arbeiten, gibt es schon Kooperationen, aber wenn du in den unterschiedlichen Szenen fragst, sind sich alle deutschstämmigen Schwulen einig, dass es da keinen Rassismus gibt.
Arabisches Magazin diffamiert Schwule als Krankheitsüberträger - Ferda Ataman, Yassin Musharbash, Spiegel Online (15. August 2008)
Homosexuellenverbände sind empört: In einem arabischen Anzeigenmagazin aus Berlin wird davor gewarnt, schwule Männer anzufassen. Das übertrage tödliche Krankheiten, heißt es in einem pseudowissenschaftlichen Artikel – doch unter Muslimen ist diese Ansicht durchaus verbreitet.
Berlin – Der Boxtrainer Oktay Urkal, genannt «Ali von Kreuzberg», wirkt wie der Prototyp eines Draufgängers aus einem Migrantenviertel: Er spricht Ghettodeutsch, sagt «isch» statt ich und hat eine breite gebrochene Nase. Der 38–Jährige war früher Profikämpfer, das hat Spuren hinterlassen. Oktay Urkal will dieses Gesicht nutzen, um mit festgefahrenen Bildern zu brechen: Er ließ sich für eine türkische Informationsbroschüre des Lesben- und Schwulenverbands Berlin-Brandenburg (LSVD) ablichten. «Wer vor anderen keinen Respekt hat, geht K.o.», wird er dort zitiert.
Urkal weiß: Im Migrantenmilieu ist das «Outing» als Homosexueller für viele besonders schwer. Selbst er wurde wegen seines Testimonial-Auftritts von Leuten aus seinem Umfeld mehrfach angepöbelt. Doch das stört ihn nicht weiter: «Muss doch jeder sagen können, was er denkt.» Er finde Schwule und Lesben nun mal okay, sagt Urkal.
Mit dieser Einstellung ist er nicht allein. Immer mehr Persönlichkeiten aus dem Migrantenmilieu zeigen Zivilcourage für Homosexuelle. Dennoch gilt gleichgeschlechtliche Liebe unter vielen konservativen Muslimen weiter als Sünde vor Gott und in vielen Familien als Schande. Wie verkorkst das Verhältnis einiger Muslime zur Homosexualität in Deutschland ist, zeigt die Diskussion über einen scheinbar belanglosen Artikel im Berliner Anzeigenblatt «al-Salam».
Zwischen Lifestyle-Angeboten, Kochrezepten und unzähligen Werbeflächen findet sich unter der Rubrik «Medizin» eine regelrechte Hetzschrift gegen schwule Männer. Der Titel: «Ein fleischfressendes Bakterium und geschlechtliche Anormalität». Neben abschreckenden Bildern von Hautausschlägen und Ekzemen erklärt der Autor, dass Homosexuelle «von tödlichen Krankheiten befallen werden» und, falls doch nicht, «zumindest im Jenseits für ihre Handlungen aufs Schärfste bestraft» würden.
Auch wird wissenschaftlich argumentiert: «Die Weltgesundheitsorganisation bestätigt, dass sie Dutzende Millionen Dollar ausgibt, um Krankheiten zu bekämpfen, die mit anormalem Geschlechtsverkehr einhergehen», schreibt der Autor. Deshalb sollen «muslimische Brüder» einem Homosexuellen nicht die Hand schütteln – «man weiß nie, was für Bakterien und Keime sich daran befinden.»
Der Autor informiert sich bei christlichen Institutionen
In Deutschland lag die Aprilausgabe von «al-Salam» mit dem Artikel schon monatelang in Hunderten Berliner Imbissen, Cafes und Frisörläden kostenlos aus. Erst nachdem die Medienforscher des Online-Portals ufuq.de den Text kürzlich ins Deutsche übersetzt hatten, brandeten bei Schwulen- und Lesbenverbänden Proteste auf.
Der Verfasser des «Aufsatzes», der 31–jährige Syrer Mohammad Ladschain al-Zayn, wusste nicht, dass sein Text von «al-Salam» in Berlin abgedruckt worden war. «Aber es ist okay für mich, wenn es eine Gratiszeitung ist», sagte er SPIEGEL ONLINE. Die Kritik an dem Text sieht er gelassen: «Jeder ist frei zu sagen, was er will.»
Medizinisches Vorwissen hat al-Zayn nicht. «Ich habe vor drei, vier Jahren angefangen, im Internet zu recherchieren», sagt er über seine Arbeitsmethode. Er verweist darauf, dass einige seiner Belegstellen Texte aus dem Umfeld christlicher Organisationen in San Francisco seien. «Ich bin nicht der erste und nicht der einzige, der das schreibt», sagte der ausgebildete Diplomingenieur, der für die Website kaheel7.com arbeitet.
Auf dem Portal behandelt man die «Wunder des Korans»: Aufgeregt werden auf der Seite «neueste wissenschaftliche Erkenntnisse» präsentiert – und mit Koranstellen in Verbindung gebracht, die zeigen sollen, dass alle diese Forschungsfortschritte nur Gottes Offenbarung bestätigen. Einen ähnlichen Ansatz hat der Syrer, der vier Jahre lang in London lebte, offenbar auch für seinen Text über Homosexualität gewählt: Ausgehend von der Überzeugung, dass Schwulsein nicht gut sein kann, weil es religiös verboten ist, hat er «Belege» gesammelt, die die These stützen.
Vom Herausgeber der Werbezeitung war keine Stellungnahme zu bekommen.
Götz Nordbruch von ufuq.de findet diese Inhalte vor allem deswegen beunruhigend, weil sie eine unter Einwandererkindern verbreitete Feindsinnigkeit gegenüber Schwulen und Lesben fördern: «Die Botschaft ist, dass Homosexuelle sich nicht nur gegen Gott versündigen, sondern auch eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen.» Dieser Zündstoff richte sich in «al-Salam» an alle Muslime in Berlin. Die Folge dieser Einstellung sei, dass Jugendliche schwule Männer auf der Straße beschimpfen und bespucken, sagt Nordbruch.
Alexander Zinn vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg glaubt auch, dass der geschmacklose Artikel für eine gängige Haltung unter Muslimen steht: Das «Schwule Überfalltelefon» registriere «sehr häufig» Pöbeleien durch Migranten. Als Homosexueller, egal welcher Herkunft, sei die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, Opfer durch Gewalt von muslimischen Jugendlichen zu werden. «Das ist ein großes Problem für uns», sagt Zinn.
Der Staatsschutz wird den Hetzartikel prüfen
Der Verband widme sich dem Thema schon seit zehn Jahren. Zinn glaubt, dass sich die Politik bei dem Thema «ein wenig drückt». Sein Verein fordert Hilfe vom Berliner Integrationsbeauftragten Günther Piening, der zwischen Homosexuellen- und Islamverbänden vermitteln soll. «Die wollen von sich aus nicht mit uns reden», sagt Zinn. Damit ein Dialog zustande kommt, brauche es daher öffentlichen Druck durch Politiker.
Immerhin: Nach der Aufregung um den Artikel in «al-Salam» hat sich Piening aus dem Urlaub gemeldet und den polizeilichen Staatsschutz um die Bewertung des Zeitungsartikels gebeten. Außerdem erwägt er, das Thema auf die Tagesordnung des Berliner «Islamforums» zu setzen, das viermal im Jahr tagt.
Nicht alle Betroffenen betrachten Homophobie allerdings als Problem, das im Islam wurzelt. Koray Yýlmaz-Günay von der Organisation türkeistämmiger Schwulen und Lesben «GLADT e.V.» erkennt in der feindlichen Haltung gegenüber seiner Klientel vielmehr ein «gesellschaftliches Phänomen». Außerdem sei es falsch, alle muslimischen Gemeinschaften in einen Topf zu werfen: Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg distanziere sich zum Beispiel «ausdrücklich von schwulenfeindlichen Aussagen», sagt Yýlmaz-Günay.
Genau wie Profiboxer Urkal: «Viele Ausländer haben Respekt vor mir», steht neben seinem Foto in der Broschüre für türkische Homosexuelle. «Und wenn ich sage, dass Schwule und Lesben nicht schlechter sind als wir, dass man sie nicht schlagen oder verarschen muss, dann ist das sicher ganz gut».
Dass der Kasten mit seinem Statement ausgerechnet auf einer Seite zum Thema Coming-out platziert ist, dürfte übrigens Zufall sein. Der Sportler ist mit einer Frau verheiratet.
Berlin Arabic mag sparks outrage by labeling gays as diseased - Hannah Cleaver, The Local (15. August 2008)
Two sensitive subjects have crashed into each other in Berlin, with a row over an article in a German Arabic language magazine warning readers that shaking the hands of gay men can transmit diseases.
The article, in the free magazine al-Salam which is distributed to restaurants and cafes around the German capital, is couched in pseudo-scientific language, and accompanied with graphic photos of skin diseases.
Titled «A flesh-eating bacteria and sexual abnormality,» the article claims that gay men are hit by deadly diseases and that Muslim «brothers» should not shake their hands as «one never knows what kind of bacteria and germs are found on them.»
The Lesbian and Gay Association of Berlin-Brandenburg (LSVD) reported the article to the police this week, spokesman Alexander Zinn told The Local.
«We have reported it as a crime to the police and it is now being examined to determine whether it should be dealt with as defamation or incitement,» he said.
The LSVD has long reported homophobia from Germany’s Muslim, largely Turkish community, yet Zinn said protesting against it, or trying to bring the subject into the public arena is fraught with difficulty.
Criticising attitudes of the Turkish or Arab communities is often equated with a racist attack, he said.
«We would appeal to the more liberal parts of the community to help us with this, and we also need the engagement of the integration representative of the city senate,» he said. «This is one of many signs of something that keeps on coming up. Something needs to be done and we need to work together to try to tackle the problem.»
The complexity of the problem is illustrated by the reaction from the organization of Turkish gays and lesbians, GLADT whose spokesman Koray Yýlmaz-Günay told Der Spiegel he saw homophobia as a broad social problem rather than a specifically Muslim one.
Meine Welt, deine Welt. Schwule und Lesben fühlen sich in Kreuzberg nicht mehr sicher. Die Angriffe auf sie nehmen zu, die Täter sind oft junge Migranten - Rana Göroðlu, Berliner Zeitung (8. Juli 2008, Seite 3)
BERLIN. Die Stimme aus dem Megafon ist laut und sie spricht deutsch und türkisch. «Liebe Nachbarn, wir sind’s, eure Lieblingsschwulen und –lesben! Kommt alle runter und feiert mit uns!», schallt es durch die Kreuzberger Oranienstraße. Und auf Türkisch: «Wir sind eure Söhne und Töchter, eure Brüder und Schwestern, eure Tanten und Onkels. Wir sind gleichgeschlechtlich und wir sind hier.» An den geöffneten Fenstern einer Wohnung erscheinen vier Köpfe, eine Frau mit Kopftuch, ein Mann, zwei Kinder. Die bunt gekleideten Menschen im Demonstrationszug unten auf der Straße winken ihnen zu. Die Familie winkt zurück.
Freundlichkeit, Gelassenheit im Umgang miteinander, mehr wollen die Teilnehmer des «Transgenialen CSD» nicht von den Bewohnern des Viertels. Die jährliche Schwulen- und Lesbendemonstration in Kreuzberg ist zwar ohnehin politischer als die traditionelle Parade zum Christopher Street Day, die ebenfalls am vorletzten Wochenende über den Kurfürstendamm zog. Doch diesmal hatten die Organisatoren eine drängendere Botschaft als sonst: «Einige wollen, dass wir gehen», sagte ein Redner bei der Abschlusskundgebung am Oranienplatz. «Doch wir sind hier, und wir lassen uns nicht vertreiben!»
Ein Sinnbild für ein entspanntes Miteinander verschiedener Kulturen ist Kreuzberg schon seit einer Weile nicht mehr. Es überrascht auch nicht, dass es in einem Viertel, in dem sehr unterschiedliche Lebensweisen aufeinander treffen und zur Schau gestellt werden, zu Konflikten kommt. Neu scheint allerdings zu sein, wie drastisch die Intoleranz gegenüber Homosexuellen zu Tage tritt. Am Morgen des 8. Juni etwa wurden mehrere Frauen, die von einem Drag-Festival im Club SO36 in der Oranienstraße kamen, von Unbekannten zusammengeschlagen. Zeugen wollen gesehen haben, dass auf den Autos der Täter Symbole der rechtsextremistischen türkischen Vereinigung «Graue Wölfe» angebracht waren. Drei der Opfer, unter denen auch Performancekünstlerinnen aus Israel waren, haben Anzeige erstattet. Die Ermittlungen des Staatsschutzes laufen noch. Zwei Tage nach der Tat nahmen mehrere Tausend Menschen an einer spontanen Demonstration teil, um gegen die wachsende Homophobie im Bezirk zu protestieren. Auch nach den Gayhane-Partys, die ebenfalls im SO36 stattfinden und bei türkischstämmigen Schwulen und Lesben beliebt sind, kommt es regelmäßig zu gewalttätigen Übergriffen. Die Täter lauern ihren Opfern in Seitenstraßen auf. Meist sind es türkisch- oder arabischstämmige junge Männer. Jene also, die sich selbst oft an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen, sich in ihrem Kiez aber umso mehr behaupten wollen.
Anita Lehnert (Name von der Redaktion geändert) hat das schon oft zu spüren bekommen. Hand in Hand mit ihrer Freundin durch Kreuzberg oder Neukölln zu spazieren oder sich zu küssen, das kommt für die 35–jährige Grafikdesignerin schon lange nicht mehr in Frage. Auch wenn sie allein unterwegs ist, wird sie immer wieder beschimpft, von Jugendlichen, manchmal auch von erwachsenen Männern, die an ihren kürzeren Haaren und der sportlichen Kleidung ihre sexuelle Orientierung zu erkennen glauben. «Es passiert nicht jeden Tag, aber manchmal mehrmals die Woche, tagsüber genauso wie abends», sagt Lehnert. «Schlampe» oder andere Schimpfwörter würden ihr nachgerufen, sie sei auch schon bespuckt worden. Dass die Anfeindungen meist von türkisch-, arabisch- oder russischstämmigen Jugendlichen ausgehen, macht sie besonders wütend. «Natürlich kann man auch Ärger bekommen, wenn man in Marzahn oder Spandau unterwegs ist. Aber dass es ausgerechnet hier passiert, in einem Viertel, von dem man immer gesagt hat, hier können alle friedlich miteinander leben, das ist so absurd. Und du erwischst dich dabei, wie du ausländerfeindlich empfindest, weil du von genau den Leuten, für deren Rechte du immer eingetreten bist, aus heiterem Himmel aufs Übelste angemacht wirst», sagt sie.
Wie an jenem Sommertag, als sie mit ihrer Freundin am Ufer des Landwehrkanals saß. Eine Gruppe türkischstämmiger Jugendlicher näherte sich. «Was seid ihr überhaupt, Schwestern?», fragte einer. Die Frauen reagierten nicht. Die Jugendlichen fingen an, sie mit Steinen zu bewerfen. Anita Lehnerts Freundin sagte, sie sollten aufhören. Einer der jungen Männer schlug ihr von hinten auf den Kopf. Gen. Sie müssten die Heterowelt vor Leuten wie den beiden Frauen schützen, riefen die Jugendlichen. Anita Lehnert wurde so wütend, dass sie das Fahrrad des einen packte. Sie wollte es in den Fluss werfen. Dann stellte sie es doch wieder hin.
Dass schwulen- und lesbenfeindliche Einstellungen bei türkisch- und russischstämmigen Jugendlichen stärker ausgeprägt sind als bei ihren deutschen Altersgenossen, will auch eine Studie des Kieler Sozialpsychologen Bernd Simon herausgefunden haben. Fast tausend Berliner Gesamt- und Gymnasialschüler im Alter von 14 bis 20 Jahren haben er und seine Mitarbeiter Fragebögen zum Thema Homosexualität vorgelegt. Das Ergebnis der vor zwei Jahren durchgeführten Umfrage: bei männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund seien homophobe Einstellungen besonders stark ausgeprägt. 79 Prozent der türkischstämmigen und 76 Prozent der Schüler mit Wurzeln in der ehemaligen UdSSR gaben an, dass sie es eklig finden, wenn zwei Männer sich küssen. Die deutschen Schüler stimmten dem nur zu 48 Prozent zu. Die Gleichberechtigung Homosexueller befürworteten nur 38 Prozent der türkischstämmigen und 47 der russischstämmigen Jugendlichen. Bernd Simon zufolge steigt der Grad der Homophobie mit der Religiosität, mit eigenen Diskriminierungserfahrungen der Jugendlichen und dem Maß, in dem traditionelle Männerbilder vermittelt werden.
Bastian Finke von Maneo, einer Berliner Opferhilfe-Einrichtung für Schwule, sagt, nur zehn Prozent der Betroffenen gingen zur Polizei. «Wir weisen seit Jahren darauf hin, dass eine wachsende Zahl der Fälle von jungen Männern mit Migrationshintergrund ausgeht. Doch aus politischer Überkorrektheit wurden wir immer wieder dafür angegriffen.» Deshalb fehle es an Ansätzen und Projekten, die sich diesem Problem widmeten. Beim Überfalltelefon von Maneo gehen Anrufe aus dem gesamten Stadtgebiet ein. Auch in Schöneberg, einem Bezirk, der gemeinhin als sicheres Terrain für Schwule und Lesben gilt, kommt es immer wieder zu homophoben Attacken. Die Situation sei alarmierend, sagt Finke. «In fast jedem zweiten Gespräch, das wir führen, geht es um das Thema Selbstbewaffnung. Die Leute fragen uns, wie sie sich schützen können, wenn sie in Kreuzberg, Neukölln, Wedding oder Schöneberg unterwegs sind, dort, wo junge Migranten sehr präsent auf den Straßen sind. Man sollte nicht vergessen, dass auch auf Seite der Opfer die Toleranz sinkt, und das birgt eine Eskalationsgefahr.» Bei einer Umfrage von Maneo unter 930 Opfern homophober Gewalt in –erlin habe die Hälfte der Betroffenen angegeben, dass die Täter nichtdeutscher Herkunft waren.
Nicht alle Vertreter von Schwulen- und Lesbenvereinen sehen einen so klaren Zusammenhang zwischen Schwulenfeindlichkeit und Migrationshintergrund. «Homophobie ist ein gesamtgesellschaftliches und soziales Problem, das man keiner bestimmten Ethnie oder Religion zuordnen kann», sagt Koray Yýlmaz-Günay vom Verein «Gays and Lesbians aus der Türkei», kurz GLADT e.V. In Marzahn oder Lichtenberg könne man sich als Schwuler auch nicht frei bewegen. Und deutsche Homosexuelle aus der Provinz seien mit ganz ähnlichen Problemen konfrontiert. «Mit Eltern zum Beispiel, die erklären, wir wünschten, du wärst tot», sagt Yýlmaz-Günay. An der Kieler Studie kritisiert er, dass nicht berücksichtigt worden sei, welcher sozialen Schicht die Befragten angehören. Genauso wenig wie die Tatsache, dass die deutschen Schüler wüssten, welche Antworten die politisch korrekten seien. Dass es heute häufiger zu homophober Gewalt kommt als früher, glaubt der 33–Jährige nicht. «Aber es werden mehr Fälle gemeldet, weil die Sensibilität gewachsen ist. Es gibt sicher eine allgemeine Tendenz zur Verrohung, die sich aus der Perspektivlosigkeit speist, aus einer Entkoppelung von der Gesellschaft, von der auch viele Migranten betroffen sind», sagt Koray Yýlmaz-Günay.
In Kreuzberg bemühen sich die Schwulen und Lesben unterdessen, das Gefühl zu bekämpfen, nicht mehr sicher zu sein. Laden- und Restaurantbesitzer sollen gebeten werden, ihre Lokale als sicheren Zufluchtsort für Angriffsopfer kenntlich zu machen. Fatma Souad organisiert seit rund zehn Jahren die schwul-lesbischen Gayhane-Partys im SO36 und verteilt seit einer Weile Fahnen und Flyer an die umliegenden Geschäfte. «Du bist nicht allein. Gemeinsam gegen Homophobie, Rassismus, Sexismus und Faschos» steht darauf auf Deutsch und Türkisch. Unter dem Text sind ein Kamel und ein Hirsch in Pumps abgebildet, die sich begrüßen. «Morgen- und Abendland kommen quasi zusammen», sagt Souad, die in einer westdeutschen Kleinstadt als Junge namens Ali zur Welt kam, Ende der achtziger Jahre in Berlin landete und Wert darauf legt, als Frau angesprochen zu werden.
Als schwule türkische Drag-Queen, die mit den Geschlechtergrenzen spielt, hat sie Erfahrung mit schwulenfeindlichen Angriffen. «Ich werde mit den schlimmsten Schimpfwörtern angepöbelt, werde bespuckt und habe auch schon öfter was aufs Maul bekommen. Das hat über die Jahre zugenommen», sagt Souad. «Durch meine türkische Herkunft bin ich ein besonderer Nestbeschmutzer. Die machen die Gesetze der Straße und wollen ihr Revier abstecken, und da soll es so was wie mich nicht geben.» Trotzdem ist sie fest entschlossen, im Kiez die Stellung zu halten. «Wenn ich im Fummel nach Lichtenberg gehe, kriege ich halt von den Glatzen auf die Fresse. Alle, die selbst voller Hass sind oder damit gefüttert werden, lassen ihn an denen ab, die sie für schwächer halten», sagt sie.
Auch Anita Lehnert will bald zu zu ihrer Freundin nach Kreuzberg ziehen. Ein Büro teilen sich die beiden dort bereits. In Prenzlauer Berg, wo sie jetzt lebt, hat sie noch nie Probleme gehabt, weil sie lesbisch ist. Trotzdem will sie dort nicht bleiben. Das Viertel ist ihr zu gleichförmig. «Ich liebe die Vielfalt in Kreuzberg», sagt sie.